(ots) - Eine Burka für die Venus? Die vorauseilende
Verhüllung von nackten Statuen anlässlich des Besuchs von Irans
Präsident Ruhani in Italien sorgt für Diskussionen. Doch wer sich
darüber aufregt, dem sei ein Ausflug in die Kunstgeschichte des
christlichen Abendlandes empfohlen. Denn nackte Meisterwerke der
Antike haben noch bis zum Ersten Weltkrieg in Europa Anstoß erregt.
Ihre Genitalien wurden mit Blättern verhüllt, es gab den Berufsstand
der "Hosenmaler", und Michelangelos nackter Jesus bekam einen
Lendenschurz verpasst. Erst nach 1914 begann in ganz Europa
das"Blattsterben", und heute werden selbst in den Vatikanischen
Museen Feigenblätter, die aus Altersschwäche abfallen, nicht wieder
ersetzt.
Doch bei der aktuellen Diskussion geht es ja um etwas anderes: um
das diffuse Unbehagen, wir würden unsere Kultur leichtfertig einem
expansionswilligen Islam unterwerfen. Wenn man die Vorwürfe im
Einzelfall prüft, ist meistens wenig dran. Wohl aber kann man
erkennen, dass viele, die "unsere Kultur" auf Abruf sehen, sich
selber davon entfremdet haben, indem sie zum Beispiel mit den
Traditionen des Christentums nicht mehr vertraut sind oder diese nur
noch nostalgisch-museal als Verzierung des Alltags betrachten. Und
dann merken sie, dass irgendwas fehlt.
Wer den Begriff der christlich-abendländlichen Kultur bemüht, muss
wissen, dass damit Kunstfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit
gemeint sind und das Konzept der Demokratie. Das müssen Muslime
ertragen - und alle anderen auch. Und genau deshalb gibt es übrigens
Museen und Theater, um den Blick zu weiten, um Toleranz ebenso zu
trainieren wie das Einstehen für die eigenen Werte. Denn diese
Freiheit ist nicht selbstverständlich, sie ist ein Auftrag.
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