(ots) - Auschwitz - das ist der Ort des absolut Bösen,
die Negation der Menschlichkeit. Was gestern nur ansatzweise vor dem
Landgericht Detmold erörtert wurde, lÀsst einen den Atem stocken.
Der Hanning-Prozess kann deshalb nicht mehr als eine Geste sein. Denn
trotz einer zu erwartenden Verurteilung wird der 94-jÀhrige
ehemalige SS-UnterscharfĂŒhrer keinen einzigen Tag in Haft
verbringen mĂŒssen. Dazu wird er bei schon jetzt stark
eingeschrÀnkter VerhandlungsfÀhigkeit kaum in der Lage sein. Bis ein
Urteil rechtskrÀftig wird, vergehen zudem Jahre. Der Prozess in
Detmold ist dennoch notwendig und wichtig. Er ist eine lÀngst
ĂŒberfĂ€lliges Zeichen an alle noch lebenden NS-Opfer und ihre
Angehörigen: Ja, der deutsche Staat hat viel zu lange weggesehen,
hat Menschen, die schwere Schuld auf sich geladen haben,
jahrzehntelang unbehelligt gelassen, sogar vor Strafverfolgung
geschĂŒtzt. Warum? Viele Richter und StaatsanwĂ€lte in der
Nachkriegszeit waren zuvor selbst im NS-Unrecht verstrickt gewesen.
FĂŒr die wenigen Ăberlebenden des staatlich verordneten Völkermords
war diese Ignoranz der Justiz eine unfassbare DemĂŒtigung -
jahrzehntelang. Deshalb ist der Detmolder Auschwitz-Prozess,
unabhÀngig vom konkreten Fall des Reinhold Hanning, vor allem ein
spÀtes EingestÀndnis der Schuld der bundesdeutschen
Nachkriegsjustiz. Ein Rechtsstaat, der auf der Maxime »Nie wieder
Krieg, nie wieder Auschwitz« aufgebaut wurde, ist sich das schuldig.
Erst 2011 kam mit dem Fall des John Demjanjuk vor dem Landgericht
MĂŒnchen die Wende. Seitdem verfolgen deutsche Staatsanwaltschaften
konsequent auch die Mordgehilfen, die viel zitierten »kleinen RÀdchen
im Getriebe«. Rechtlich möglich wÀre dies bereits seit Jahrzehnten
gewesen. TÀter berufen sich auf den »Befehlsnotstand«. Man habe so
handeln mĂŒssen, andernfalls sei man erschossen worden. Ein Mythos.
Bereits in den Frankfurter Auschwitzprozessen 1963 konnten die
StaatsanwÀlte nachweisen, dass kein einziger SS-Mann wegen
Befehlsverweigerung hingerichtet worden ist. Der Detmolder Prozess
ist aber nicht nur ein Blick zurĂŒck. Der lange Schatten der
Geschichte reicht bis in die Gegenwart. Die deutsche Politik, das
SelbstverstĂ€ndnis der Deutschen wird bis zum heutigen Tag maĂgeblich
von den Lehren aus den unheilvollen Jahren der Nazi-Diktatur
bestimmt. Dass Deutschland im Umgang mit Menschen, die vor Krieg und
Verfolgung fliehen, sich komplett anders verhÀlt als alle anderen
LĂ€nder Europas, ist dafĂŒr ein beredtes Zeichen. »Die Deutschen sind
anstÀndig, hat mir mein Vater immer gesagt«, erzÀhlte der
Auschwitz-Ăberlebende Leon Schwarzbaum (94) gestern vor Gericht. Dann
kamen die Nazis. In den Detmolder Prozess setzt er die Hoffnung, dass
er an den Satz seines in Auschwitz ermordeten Vaters wieder glauben
kann.
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Andreas Kolesch
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