(ots) - Bildungsministerin Sylvia Löhrmann hält es nicht
für sinnvoll, dass der Landtag noch vor der NRW-Wahl im Mai eine
Entscheidung über das »Turbo-Abi« trifft. Und diese Meinung vertritt
die Grünen-Politikerin offensichtlich nicht allein. Was Eltern und
Lehrer mehrheitlich fordern, nämlich die grundsätzliche Rückkehr zum
neunjährigen Gymnasium, findet bei den Parteien wenig Zustimmung.
Weder Rot-Grün noch CDU und FDP sind für eine generelle Abkehr von G8
- trotz des Drucks aus der Elternschaft. Schwarz-Gelb hat 2005 mit
der Verkürzung der Schulzeit dem Drängen der Wirtschaft nachgegeben.
Die jungen Leute sollten schneller aus der Schule, schneller auf die
Uni, schneller studieren und schneller in den Beruf. Die gleiche
Wirtschaft beschwert sich nicht erst seit gestern über die fehlende
Reife vieler Bachelor- und Masterstudenten. Seit Einführung von G8
und der damit verbundenen Verdichtung der Lerninhalte und
Verlagerung von Unterricht in den Nachmittag entlässt das
Bildungssystem zunehmend junge Erwachsene, die darauf konditioniert
sind, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Stoff aufzunehmen. Das
hat zwar zu einem starken Anstieg der Anzahl von Einser-Abis geführt,
aber die Studierfähigkeit nicht verbessert. Gute Schulnoten spiegeln
heutzutage eben nicht unbedingt den Bildungserfolg wider.
Nordrhein-Westfalens hohe Abiturquote von etwa 65 Prozent hat
dahingehend wenig Aussagekraft. Nach dem Wechsel von CDU-FDP zu
Rot-Grün im Jahr 2010 hat auch die neue Regierung G8 zu ihrer Sache
gemacht - aber aus anderen Gründen. Sylvia Löhrmann steht unter dem
Verdacht, mit dem »Turbo-Abi« die ideologisch bevorzugten
Gesamtschulen stärken zu wollen, wo der Weg zum Abitur generell neun
Jahre dauert. Man wird den Eindruck nicht los: Bei Rot-Grün wirkt G8
wie eine Strafe für Eltern, die ihre Kinder aufs Gymnasien schicken
und sie aufgrund der verkürzten Schulzeit einer Belastung aussetzen.
Nicht alle Schüler empfinden G8 als Stress, wohl aber die meisten.
Warum will Löhrmann bis nach der Wahl warten? Das Ergebnis im Mai
wird nichts am Elternwillen ändern. Sie wollen das Beste für ihre
Kinder und favorisieren dafür das neunjährige Gymnasium. Die
Vertagung einer politischen Entscheidung, die mit einiger Sicherheit
keine grundsätzliche sein wird, ist kein gutes Zeichen. Erstens, weil
Erleichterungen für die Schüler zum Schuljahr 2017/2018 nicht mehr
möglich sind. Und zweitens, weil befürchtet werden muss, dass eine
neue Landesregierung das Wählervotum als Handlungsauftrag
interpretieren könnte. Der Streit um G8/G9 ist Wahlkampfthema, auch
wenn die Parteien das nicht wollen.
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