(ots) -
Sperrfrist: 07.03.2017 06:05
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Nach Recherchen des ARD-Politikmagazins "Report Mainz" stoßen
Holzkamine im Alltagsbetrieb deutlich höhere Schadstoffmengen aus,
als die derzeit von der Industrie verwendeten Standardtests anzeigen.
Ähnlich wie bei Dieselfahrzeugen weichen die Messergebnisse auf den
Prüfständen vor allem bei Feinstaub deutlich von Messungen im
Alltagsbetrieb ab. Dazu erklärt Axel Friedrich, Feinstaubexperte und
ehemaliger Abteilungsleiter im Umweltbundesamt, gegenüber "Report
Mainz": "Im Normalbetrieb stellen wir fest, dass die Öfen zehn- bis
fünfzigmal mehr Emissionen haben als bei der Zulassungsmessung."
In einer umfassenden, von der EU-Kommission geförderten Studie mit
dem Titel "beReal" wurden Messwerte auf den Prüfständen mit dem
Normalbetrieb verglichen. Die Wissenschaftler kommen ebenfalls zu dem
Ergebnis, dass die Öfen sehr viel mehr Feinstaub in die Luft abgeben
als bei der Zulassungsprüfung. Die Forscher fassen das Ergebnis so
zusammen: "Bei der Messung von Holzöfen sind die Emissionen nach der
'beReal'-Testmethode sehr viel höher als die offiziellen
Zulassungstestergebnisse."
Eine Untersuchung im Auftrag des Schweizer Ofenbauverbandes
"feusuisse" hat in Anlehnung an deutsche Normen die Zulassungsprüfung
mit Messungen im Alltagsgebrauch verglichen und stellt fest: Beim
direkten Vergleich alter und neuer Öfen schneiden in der Studie die
neuen Modelle nicht besser ab als die alten. In einer Zusammenfassung
der Ergebnisse heißt es: "Insbesondere bei den Staubwerten ist das
Gegenteil der Fall". In der Studie heißt es, die Hersteller hätten
"die Geräte auf einen realitätsfremden Betrieb" hin optimieren
müssen. Auf der "Rennstrecke", also im normalen Betrieb, könnten
diese Öfen ihre Qualität gar nicht entfalten. Axel Friedrich sieht
hier eine klare Parallele zum Dieselgate-Skandal und sagt im
Interview mit "Report Mainz": "Wir reden ja bei den Diesel-Fahrzeugen
von Dieselgate und bei den Diskrepanzen, die wir hier haben, kann man
ganz klar auch von Woodgate reden. Denn wir haben Prüfungen, die
nicht dem entsprechen, was im realen Leben auftritt. D. h. wir
brauchen andere Zulassungsmessungen, andere Prüfungsverfahren, um
hier entsprechend die Menschen auch zu schützen." Außerdem fordert
er, dass Einzelraumfeuerungsanlagen mit Filtern ausgestattet werden,
so ähnlich wie beim Diesel.
Der Industrieverband Haus-, Heiz- und Küchentechnik (HKI) erklärt
in einer Stellungnahme gegenüber "Report Mainz": Ziel der
Typprüfungen sei ein Ranking der Feuerstätten untereinander. In der
Praxis komme es zu Abweichungen. Die Deutsche Umwelthilfe fordert die
Bundesregierung zum Handeln auf. Dorothee Saar, Leiterin Verkehr und
Luftreinhaltung, sagt dazu gegenüber "Report Mainz": "Wir haben Öfen,
die auf dem Papier vergleichsweise sauber sind, die aber in der
Realität ein Vielfaches mehr an Schadstoffen emittieren. Das
Prüfverfahren ist ganz offenkundig unzureichend. Das
Bundesumweltministerium muss ein neues Verfahren anstoßen."
Ein Sprecher des Bundesumweltministeriums erklärt auf Nachfrage
von "Report Mainz", dass Prüfstandsmessungen die Realität nicht in
jedem Fall abbilden könnten, liege in der Natur der Sache. Das Thema
"Holzfeuerungen" werde in der Behörde und mit Fachleuten diskutiert,
die Bundesimmissionsschutzverordnung evaluiert. Auf der europäischen
Ebene seien Verbesserungen des Prüfzyklus in Arbeit, um die Verfahren
noch besser an die "realen Bedingungen anzunähern".
Hintergrund
Nicht nur in Städten, sondern auch in ländlichen Regionen tragen
Holzheizungen zu einer hohen Feinstaubbelastung bei. In einzelnen
Dörfern liegt der Anteil der Holzheizungen bei bis zu 30 Prozent an
der Gesamtfeinstaubbelastung. Die jährliche Gesamtmenge Feinstaub aus
Holzheizungen erreicht die Größenordnung der Belastung aus dem
Straßenverkehr. Feinstaub aus Holzheizungen führt nach Angaben des
Bundesumweltministeriums gegenüber "Report Mainz" zu schätzungsweise
9000 vorzeitigen Todesfällen pro Jahr in Deutschland.
Das Land Baden-Württemberg hat am 24.2.2017 als erstes Bundesland
ein Nutzungsverbot für Kaminöfen erlassen. Holzöfen, die nicht als
einzige Heizung im Haus dienen, müssen bei Feinstaubalarm kalt
bleiben. Ausnahmen gibt es für neue Modelle, die die Grenzwerte der
Stufe 2 der Bundesimmissionsschutzverordnung einhalten. Analog zum
Fahrverbot für alte Diesel dürfen alte Öfen nicht benutzt werden.
Einige Bundesländer fördern den Austausch alter Öfen durch neue
Modelle. Auch die Bundesimmissionsschutzverordnung verlangt, dass
alte Öfen nach und nach nachgerüstet oder ausgetauscht werden.
Bundesweit gibt es rund 11 Millionen Einzelfeuerungsanlagen, also
Kamine oder Kachelöfen. Viele sollen verschrottet werden und durch
neue Öfen ersetzt werden, die das umstrittene Prüfverfahren
durchlaufen haben.
Zitate gegen Quellenangabe "Report Mainz" frei. Weitere
Informationen auf www.reportmainz.de. Pressekontakt: "Report Mainz",
Tel. 06131/929-33351.
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