(ots) - Zivilgesellschaft begrüßt Fortschritte im
Vergabegesetz und fordert nun wirksame Umsetzung.
In zwei Tagen tritt das Tariftreue- und Vergabegesetz NRW (TVgG
NRW) mit dazugehöriger Rechtsverordnung (RVO) in novellierter Fassung
in Kraft. Das Gesetz gibt Kommunen und dem Land NRW u.a. den Rahmen
vor, wie bei der Beschaffung von Berufsbekleidung, Bürobedarf,
IT-Waren etc. Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt werden sollen. Da
allein in Nordrhein-Westfalen von öffentlichen Einrichtungen jährlich
rund 50 Milliarden Euro Steuergelder für die Beschaffung von Gütern
und Dienstleistungen ausgegeben werden, ist das TVgG-NRW ein
wichtiges Instrument zur Stärkung fairer Wettbewerbsbedingungen. Die
Mitgliedsorganisationen im Bündnis für öko-soziale Beschaffung NRW
begrüßen daher die Novellierung des Gesetzes. Damit das Gesetz
tatsächlich zu besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen in den
Produktionsländern beiträgt, fordert das Bündnis von der
Landesregierung, bei der Anwendung des Gesetzes mit gutem Beispiel
voranzugehen und zugleich sicherzustellen, dass die neuen Spielräume
in der Vergabepraxis wirksam ausgeschöpft werden.
"Mit der Überarbeitung der RVO wurde die größte bisherige
Schwachstelle, die Eigenerklärung als unzureichende
Nachweiserbringung zur Einhaltung internationaler Arbeits- und
Menschenrechte im Sinne der Kernarbeitsnormen der Internationalen
Arbeitsorganisation, beseitigt" sagt Angela Schmitz vom Eine Welt
Netz NRW. Nach neuer Rechtsvorgabe ist die Einhaltung der
ILO-Kernarbeitsnormen etwa durch ein Zertifikat oder die
Mitgliedschaft in einer Initiative nachzuweisen, mindestens aber
durch den Nachweis eines "unabhängigen" und "fachlich geeigneten"
Dritten zu erbringen. "Um zu verhindern, dass hierbei in der Praxis
erneut ein Schlupfloch entsteht, muss die Landesregierung für die
Beschaffungsverantwortlichen ein Instrument schaffen, mit dem sie die
Glaubwürdigkeit solcher Dritter überprüfen können", so Schmitz
weiter. Zu kritisieren sei in diesem Zusammenhang, dass die
Prüfbehörde der Landesregierung nach wie vor nicht die Kompetenz hat,
die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen oder Umweltbelange zu
überprüfen.
Hinzu kommt, dass die neue Regelung, nach der in gewissen Fällen
auf jeglichen Nachweis zur Einhaltung sozialer Kriterien verzichtet
werden darf, die Gefahr für die Umgehung dieser Nachweise in sich
birgt. Die Fallgruppen "objektive Dringlichkeit", "Marktversagen" und
"andere vergleichbare Ausnahmegründe" können ohne entsprechende
Unterstützung und Kontrolle der Landesregierung schnell zu
Schlupflöchern werden, die eine nachhaltige Beschaffung verhindern.
"Teilweise können diese Ausnahmen auch von Unternehmen als Argumente
benutzt werden, keine glaubwürdigen Nachweise zu erbringen" sagt
Christian Wimberger von der Christlichen Initiative Romero (CIR). Das
Bündnis fordert die Landesregierung deshalb auf, die von den
Beschaffungsverantwortlichen zu meldenden Ausnahmefälle transparent
zu machen und auch statistisch auszuwerten. Nur so kann eine
schleichende Umgehung der Gesetzesziele verhindert und die Kompetenz
der Beschaffungsverantwortlichen gestärkt werden.
Positiv bewertet das Bündnis, dass die Landesregierung in der
Begründung zur Rechtsverordnung ausdrücklich auch alternative
Nachweisformen öko-fairer Produktionsbedingungen unterstützt. Dass
das Fehlen von Zertifikaten und Unternehmensinitiativen nicht mit dem
Fehlen öko-fair produzierter Waren gleichzusetzen ist, betont auch
Annelie Evermann von WEED - Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung
e.V.: "Transparenz und soziale Verantwortung können auch dann von
Unternehmen geleistet werden, wenn auf dem Markt noch keine
klassischen Nachweise in Form von Siegeln oder Zertifikaten
vorliegen. Hier hat die öffentliche Beschaffung eine große Chance,
ihre Marktmacht für positive Anreize auf Unternehmen zu nutzen." So
führte beispielsweise Dataport als IT-Dienstleister der öffentlichen
Verwaltung die Einforderung eines schriftlichen Konzepts für die
Einhaltung von Sozialstandards ein. Auch die Städte Dortmund und Bonn
zeigen in ihren aktuellen Textil-Ausschreibungen, dass jenseits von
bestehenden Zertifikaten oder Siegeln als Nachweis auch die
Durchführung zielführender Maßnahmen - etwa die Einreichung eines
Prüf- und Sozialberichts - gefordert werden können. Für die Umsetzung
in die Praxis ist nun wichtig, dass die Landesregierung solche
Ansätze durch Bekanntmachen solcher Ausschreibungsbeispiele z.B. in
Schulungen und Leitfäden, aber auch durch Unterstützungsangebote,
forciert.
"In jüngster Vergangenheit wurde Bangladesch von einer Streikwelle
in den Textilfabriken erfasst", erklärt Marie-Luise Lämmle von
FEMNET, die gerade von einer Dialogreise nach Bangladesch
zurückgekehrt ist, bei der Sozial- und Arbeitsstandards im Textil-
und Bekleidungssektor aus der Perspektive nachhaltiger Beschaffung im
Fokus standen. "Bei den Verhandlungen um die Freilassung zahlreicher
Gewerkschaftsangehöriger und Arbeiter_innen blieben auch die
Reaktionen seitens deutscher Handelsverbände, Gewerkschaften und der
Kampagne für Saubere Kleidung nicht unbemerkt. Dies zeigt, dass
Deutschland als bedeutendes Importland bei der Frage um gerechte
Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern durchaus die Möglichkeit
hat, positiv Einfluss zu nehmen", so Lämmle weiter.
Das Bündnis bewertet die Reform des Gesetzes als wichtigen
Teilerfolg der Öffentlichkeits- und Beratungsarbeit von
Gewerkschaften und entwicklungspolitischen Organisationen. Trotz
wichtiger Kritikpunkte ist erkennbar, dass die Landesregierung die
Hebelwirkung des Einkaufs von Kommunen und Landesbehörden nun
effektiver nutzen will.
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