(ots) - Kontaktleute islamistischer Terroristen waren
möglicherweise am Tatort in Heilbronn, als die Polizistin Michèle
Kiesewetter im April 2007 ermordet und ihr Kollege Martin A.
lebensgefährlich verletzt wurde. Das geht aus als geheim eingestuften
Polizeiakten hervor, die dem Hamburger Magazin "stern" und dem
ARD-Politikmagazin "Report Mainz" vorliegen.
Prof. Thomas Feltes, Kriminologe an der Ruhr-Universität Bochum,
attestiert den Behörden nach Durchsicht der Akten "null
Aufklärungswillen". Bei den Akten handelt es sich um die Auswertung
der am Tattag in Heilbronn erfassten Handydaten. Aus diesen
hunderttausenden Daten wurden die Nummern herausgefiltert, die um die
Tatzeit in Heilbronn eingeloggt waren. Darunter waren rund 50
"Kreuztreffer", also Rufnummern, die in Heilbronn eingeloggt waren
und die identisch sind mit Telefonnummern, die vorher schon mal in
anderen Ermittlungsverfahren aufgetaucht sind. Das können Nummern von
Beschuldigten, Zeugen, Verdächtigen, aber auch von Unbeteiligten
sein, die ins Visier der Ermittler geraten sind.
Neun Telefonnummern sind vorher bei Ermittlungen gegen
Terrorverdächtige aus der islamistischen Szene aufgetaucht. Zwei
Nummern sind besonders interessant. Eine Handynummer, die bis kurz
vor der Tat an der Theresienwiese eingeloggt war, führt zur
Sauerland-Gruppe bzw. zumindest zu deren Umfeld. Die Mitglieder der
Sauerlandgruppe, im Herbst 2007 verhaftet und 2010 zu hohen
Haftstrafen verurteilt, hatten damals Anschläge auf US-Einrichtungen
in Deutschland geplant. In letzter Minute wurde das damals durch die
Sicherheitsbehörden verhindert. Eine zweite Nummer führte in die
Ulmer Islamisten-Szene. Trotz der Brisanz unterblieb die weitere
Auswertung, wie die Akten zeigen. Weder wurden die Inhaber der
Nummern ermittelt, noch wurden sie befragt. "Ich muss in jedem Fall
in diese Richtung ermitteln", fordert Prof. Feltes. Auch der
Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Clemens
Binninger, ist dieser Ansicht: "Wenn man eine Nummer sehr nah an den
Tatort bringen kann, sehr nahe an die Tatzeit, und sie polizeilich
bekannt ist, dann müssen diese Nummern natürlich auch im Einzelfall
konkret überprüft werden."
Für Petra Pau, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und
Obfrau des NSU-Untersuchungsausschusses, ist das eine überraschende
Erkenntnis: "Trotz alledem muss man natürlich alle gegebenenfalls
möglichen Verbindungen zu anderen Tatbeteiligten, mit welcher
Motivation auch immer, abprüfen oder ausschließen. Und das ist schon,
um es mal vorsichtig zu formulieren, sehr ärgerlich, dass zehn Jahre
nach dem Mord an Michèle Kiesewetter, das immer noch versäumt wurde."
Außerdem moniert sie, dass diese Fakten dem
NSU-Untersuchungsausschuss bisher vorenthalten wurden: "Wir haben zum
ich-weiß-gar-nicht-wie-viel-hundertsten Mal den Fall, dass die
ermittelnden Behörden den Parlamentariern diese Unterlagen
vorenthalten haben. Meine Erwartung wäre jetzt eigentlich, dass der
Generalbundesanwalt schon einen Boten mit eben diesen Unterlagen
losgeschickt hat. Ansonsten werde ich dafür plädieren, dass wir das
als ein schweres Versäumnis im Abschlussbericht des
Untersuchungsausschusses verankern."
Islamisten möglicherweise am Tatort in Heilbronn? Für den
Kriminologen Thomas Feltes bedeutet das: "Wenn es hier tatsächlich
einen islamistischen Hintergrund gibt, dann muss man die Frage
stellen: Wo ist die Verbindung? Geht es um Waffenkauf, geht es hier
um finanzielle Unterstützung, geht es vielleicht sogar um eine Form
der Kooperation? Das würde natürlich alles sprengen zu dem, was wir
bisher angenommen haben und auch gedacht haben. Aber allein um das
auszuräumen, muss man dieser Spur nachgehen."
Die Generalbundesanwaltschaft hat die gemeinsame Presseanfrage von
"Report Mainz" und "stern" unbeantwortet gelassen.
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