(ots) - Die Aufarbeitung der Gründe fürs Ausmaß der
G20-Krawalle ist im vollen Gange. Verletzungen sind längst noch nicht
verheilt, Schäden kaum beseitigt. Doch von Geduld keine Spur. Der Ton
in der Debatte nimmt an Schärfe zu - auch von ungewohnter Seite. »Ich
habe es aufgegeben, von der anderen Seite Anständigkeit zu erwarten«,
sagte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz gestern über die Union.
Ähnlich ruppig hatte sich am Tag zuvor Außenminister Sigmar Gabriel
über angebliche »Verlogenheit« in der Union beklagt. Die Zeichen sind
deutlich: Große Koalition hin oder her - die Sozialdemokraten möchten
jetzt gern mal mit dem Wahlkampf anfangen. Bei irgendetwas um die 22,
23, 24 Prozent in Umfragen kann man das gut verstehen. Doch der
Gegner mit seinen ermittelten 38, 39, 40 Prozent, vor allem die
Kanzlerin, steigt nicht recht drauf ein. Hätten mehr Polizisten die
Ausschreitungen in Hamburg schneller in den Griff bekommen? Wurden
Warnungen missachtet? War der Umgang mit der linksextremen Hamburger
Szene in den vergangenen Jahrzehnten zu sorglos? Diese naheliegenden
Fragen hätten Konzentration verdient. Und unvoreingenommene
Abarbeitung. Aber mit Formulierungen über die Union wie »unfair«,
»nicht akzeptabel« und »perfide« sendet Schulz ein anderes Signal:
Damit können wir uns jetzt nicht aufhalten. Wir greifen wieder an!
Die Botschaft des Bewerbers ums Kanzleramt geht in zwei Richtungen.
Natürlich an die Wähler. Die sollen sich an den Gedanken gewöhnen,
dass es doch eine Alternative zu Angela Merkel gibt. Jemanden, der
anderer Meinung ist. Der die CDU-Vorsitzende für ihr Handeln und das
Verhalten ihrer Parteifreunde in Haftung nimmt. Und dann soll Schulz'
neuer Ton in den Ohren der eigenen Leute klingen. Die Botschaft
lautet: Gabriel ist gar nicht der Einzige, der auch grob kann. Mit
dem Merkel vorgeworfenen »Anschlag auf die Demokratie« hatte Schulz
das auf dem Dortmunder SPD-Parteitag im Juni schon einmal geprobt.
Dass bereits bei diesem harschen Ausfall ein Teil des Publikums den
Kopf schüttelte, schreckte offenbar nicht ab. Aber es geht auch nicht
in erster Linie ums Gefallen, es geht der in Teilen allmählich
ratlosen SPD vor allem ums Auffallen: Der Wähler muss sie wahrnehmen.
Steuer- und Rentenkonzepte scheinen verpufft. Ob das Thema
»Aufrüstung«, also der Widerstand gegen das Zwei-Prozent-Ziel für die
Nato-Mitglieder, Massen bewegt? Mal sehen. Bis dahin soll die Attacke
weiterhelfen. Aber wieder ist ein Teil des Publikums eher irritiert
als motiviert. Und hätte statt Attacke lieber Antworten. Auch auf die
vielen Fragen nach dem G20-Gipfel.
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