(ots) - Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sieht in
den gewaltsamen Ausschreitungen am Rande des G20-Gipfels in Hamburg
keinen Kontrollverlust des Staates. "Der Rechtsstaat war in diesen
Tagen herausgefordert, ja", sagte Steinmeier in einem Gespräch mit
dem stern. "Aber er beweist auch, dass er funktioniert. Straftaten
werden verfolgt und geahndet." Natürlich würden Ereignisse wie in
Hamburg die Menschen irritieren und erschüttern. "Aber wir dürfen
auch nicht so tun, als wären solche Ausschreitungen Alltag in
Deutschland. Das sind sie nicht."
Der Bundespräsident plädierte dafür, nicht die Tatsachen zu
verdrehen. "In Hamburg haben Gewalttäter in eklatanter Weise
fundamentale Regeln unseres Zusammenlebens verletzt. Gegen diese
Gewalttäter muss sich unsere Kritik richten", sagte er. "Mich empört
aber auch das Verhalten all derer, die aus Langeweile oder
Abenteuerlust bei den Ausschreitungen im Schanzenviertel mitgemacht
und Läden geplündert haben." Das mache ihm Sorgen, so der
Bundespräsident. Es scheine sich da etwas in der Gesellschaft zu
verändern. "Der Respekt vor staatlichen Institutionen wie
beispielsweise der Polizei geht bei einigen offenbar verloren. Auch
das Bewusstsein, dass sie auf den Schutz gerade dieser Polizei selbst
angewiesen sein könnten."
In diesem Zusammenhang warnte Steinmeier gegenüber dem stern
allerdings auch vor Alarmismus. "Die deutsche Demokratie ist nicht in
Gefahr, bei allem Entsetzen über die Krawalle." Die überwältigende
Zahl der Bürgerinnen und Bürger sei über die Gewaltexzesse ebenso
entsetzt gewesen wie er. Sie würden auch großes Verständnis für das
Vorgehen der Polizisten zeigen. Das sei "ein gutes Zeichen". "Dieses
Land ist doch plötzlich kein anderes geworden, weil Gewalttäter aus
ganz Europa, auch aus Deutschland, jedes Maß verloren haben."
Der Bundespräsident verteidigte ausdrücklich die Entscheidung, den
G20-Gipfel in Hamburg stattfinden zu lassen. "Eine selbstbewusste
demokratische Gesellschaft darf sich doch nicht von Gewalttätern
vorschreiben lassen, wo sie solche Gipfel veranstaltet", so
Steinmeier. "Sollen sie in Zukunft nur noch auf abgelegenen Inseln
oder in autokratischen Ländern möglich sein?" Zugleich ließ er
durchblicken, dass solche Treffen nicht unbedingt in
Massenveranstaltungen ausufern müssten: "Ich hätte nichts dagegen,
wenn es bei den teilnehmenden Staaten mehr Selbstdisziplin gäbe, was
den Umfang ihrer Delegationen betrifft."
Die Integration der Flüchtlinge, die in den vergangenen zwei
Jahren nach Deutschland gekommen sind, werde "ein lange, schwieriger
Prozess", sagte Steinmeier. Der Präsident forderte die Zuwanderer
auf, das "rechtliche Fundament unserer Gesellschaft" zu akzeptieren -
"und unsere Werte". Zugleich sprach sich er sich entschieden dagegen
aus, diese Werte "in das Korsett einer 'Leitkultur' zu pressen".
Damit, so Steinmeier, "erstellen wir Kataloge, mit denen wir
festschreiben wollen, was angeblich und auf ewig dazugehört und was
nicht. Das grenzt Menschen aus und das stört mich." Auf die Frage, ob
die Fußball-Nationalspieler die Hymne mitsingen sollten, antwortete
Steinmeier: "Sie müssen nicht, aber es wäre schön, wenn sie den Text
könnten."
Der frühere Außenminister räumte im Gespräch mit dem stern ein,
dass er in einem Punkt noch mit seinem neuen Amt fremdle. "Ich muss
mich noch daran gewöhnen, dass ich meinen Namen nicht mehr höre. Wann
immer ich einen Saal betrete, lautet die Ankündigung: 'Herr
Bundespräsident'", sagte Steinmeier. Dagegen genieße er es, "nach
vielen Jahren in atemloser Krisendiplomatie" nun "mit etwas längerem
Atem Politik zu machen, mich langfristigen Trends und Fragestellungen
unserer Gesellschaft zu widmen". Steinmeier: "Ich empfinde das als
Privileg. Das ist ein unendlicher Zugewinn."
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