PresseKat - Westfalen-Blatt: zu Krankenpfleger Niels Högel

Westfalen-Blatt: zu Krankenpfleger Niels Högel

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(ots) - Die Dimension dieses Kriminalfalls ist
beispiellos. Auf 67 Friedhöfen ließ die Staatsanwaltschaft 134 Tote
exhumieren, um sie rechtsmedizinisch untersuchen zu lassen.
Mindestens 86 dieser Menschen, davon ist die Sonderkommission
»Kardio« der Oldenburger Polizei überzeugt, wurden von Krankenpfleger
Niels Högel (40) getötet. Für zwei Patientenmorde war Högel bereits
2015 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Doch die Kripo
ermittelte weiter und gab gestern das erschreckende Ergebnis bekannt.
Der Fall Högel - er steht nicht nur für den mutmaßlich schlimmsten
Serienmörder der deutschen Kriminalgeschichte. Er ist auch ein
besonders drastisches Beispiel für das Wegsehen, für tödliches
Versagen von Verantwortlichen in Krankenhäusern. Denn mancher ahnte
wohl das Unfassbare, aber niemand unternahm etwas - und deshalb
konnte Högel, davon ist die Kripo überzeugt, unbehelligt weitertöten.
Das Verdrängen des Unfassbaren, selbst unter Inkaufnahme weiterer
Opfer, ist dem Krankenhauswesen nicht fremd. »Sehen, Hören,
Schweigen« heißt eines der Bücher von Prof. Karl Beine. Der
Psychiater erforscht seit Jahrzehnten Patiententötungen durch Ärzte
und Pfleger - wie den Fall von Gütersloh: Schon lange gab es in der
dortigen Westfälischen Klinik für Psychiatrie Gerüchte um einen
Pfleger, in dessen Schicht auffallend oft Patienten starben. Dann
fanden Krankenschwestern im September 1990 nach dem Beinahetod eines
Patienten drei leere Ampullen in einem Papierkorb. Sie wandten sich
mit ihrem Verdacht an die Klinikleitung, die aber weder die Polizei
noch den Krankenhausträger informierte und den Pfleger weitermachen
ließ. Bis er Monate später eine weitere Frau totspritzte, aufflog und
festgenommen wurde. Bis dahin hatte der Mann zehn Patienten
umgebracht. Von seiner Strafe - 15 Jahre wegen Totschlags - saß der




Krankenpfleger zehn Jahre ab, 2000 kam er frei. Damals blieb das
Nichthandeln der Verantwortlichen ohne juristische Folgen. Zumindest
das hat sich inzwischen geändert. Im Fall Niels Högel kommen
demnächst zwei frühere Oberärzte und der Leiter der Intensivstation
des Klinikums Delmenhorst vor Gericht - wegen Totschlags durch
Unterlassen. Sie sollen Niels Högel aus Angst um den Ruf der Klinik
nicht gestoppt haben. Mordserien in Krankenhäusern - sie lassen sich
am ehesten aufdecken, wenn es nach jedem Patiententod eine
gewissenhafte Leichenschau gibt. Und wenn das Thema Patiententötung
nicht tabu ist, sondern die Klinikleitung Mitarbeiter verpflichtet,
Unregelmäßigkeiten zu melden - unter Umständen auch anonym. Denn
jedem Ärztlichen Direktor, jedem Klinikvorstand sollte bewusst sein,
dass es einen Niels Högel auch im eigenen Haus geben kann.



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Westfalen-Blatt
Chef vom Dienst Nachrichten
Andreas Kolesch
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Datum: 28.08.2017 - 21:00 Uhr
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